WO SIND DIE „FREAKS“ ?
ein Text von Andreas Lehner
Als eigenartige Beulen, geschmückt mit Ledergeflechten und Metallstangen könnte man die Objekte von Eberhard Jordan bezeichnen. Er nennt Sie lakonisch „freaks“ und bietet dem Betrachter durch seine Titelwahl eine handfeste Annäherungsmöglichkeit an – WAS SIND FREAKS1
Langenscheids Großes Schulwörterbuch:
1 verrückter Einfall
2.Mißbildung, -geburt. Monstrum . kriippel
3.verrückter Kerl. Exzentriker
4.Fixer
5Ausgeflippte(r)
Der Titel „freak“ birgt also in sich ein gewisses Abweichen von der Norm. Schlüssig werden Titei und Arbeit, wenn man sich ihr unter der Annahme nähert, daß die Idee der Kugel diesen Arbeiten Pate stand. Dies ist legitim. – denn auch Eberhard Jordan bezeichnet sie als „Kugelversuche“
Die Gebilde die wir hier sehen, sind allerdings bestenfalls kugelähnlich. Es wird zu hinterfragen sein, ob ein Mangel an handwerklichem Geschick zu der Deformation führt, was den Schluß nahelegt, daß mit dem „freak“ der Krüppel gemeint ist. oder ob die Abweichung von der Norm ein bewu&t gesetzter Schritt ist. Dann haben wir es wohl eher mit dem Nonkonformisten zu tun.
Ein Blick auf die früheren Arbeiten des Künstlers läßt keine Zweifel, wenn er wirklich eine Kugel herstellen wollte, dann hätte er das auch geschafft.
Eberhard Jordan sagt: „Die Kugel als künstlerische Form langweilt mich Interessant ist sie nur. wenn sie eine bestimmte Größe erreicht oder mich durch eine besondere Oberflächenbeschaffenheit fasziniert“.
Indem Eberhard Jordan seiner Skulpturenreihe aber kugelähnliche Formen verleiht, indem er also auch im Betrachter Assoziation zu Kugeln provoziert, gelingt es ihm. eine andere Reflextionsebene als die rein Formale anzusprechen. Kugeln haben archetypischen Charakter und damit erweckt Eberhard Jordan in jedem, der seine Kugeln sieht, bestimmte Vorstellungen . Sei es der Bauch einer schwangeren Frau, die Vorstellung des Universums oder der Gestirne oder die eines prallen Arsches. Die Lesmöglichkeiten sind vielfältig. Gemeinsam ist ihnen allen das Element der Sympathie, denn Kugeln haben keine aggressive Ausstrahlung, haben keine Ecken und Kanten, an denen man sich stoßen könnte.
Eberhard Jordan faßt seine Kugeln auch nicht als starre Körper auf. Er dachte bei der Herstellung wohl eher an Luftballons oder Eidotter oder Fruchtblasen. im weitesten Sinn also Dinge die war kugelförmig sind, sich aber bei Krafteinwirkung deformieren lassen. Diese Eigenschaften waren das was ihn an der Form reizte. Er will, so unterstelle ich ihm. den „Arsch“ nicht nur streicheln und bewundern, er will dann wühlen, kneten formen, ihn aus der Form bnngen. ihn wieder in die Form zurückkommen sehen. Im Leben wie in der Kunst – (wo ist hier der Unterschied ?) – erzeugt er dadurch Spannung
„Die Kugel in ihrer Idealform ist nicht spannend“ meint Eberhard Jordan , „Spannend ist die Deformation, der Weg von und zur Kugel.“ Und er setzt nach: „Schönheit ohne Fehler langweilt.“
Ein weiteres Detail, das sich nach dem Erfassen der Makrostruktur in den Vordergrund drängt, ist die Oberfläche der „freaks“ . Blicken wir genauer hin. so finden wir auch hier die schon oben festgestellte Übereinstimmung von Titel und dessen Umsetzung. Diesmal im Makrokosmos, in den Details. Die Oberfläche der Plastiken wirkt roh. die Haut ist rissig. Sprünge zerfurchen, man befürchtet, zerreißen die Skulptur, und die Wahrscheinlichkeit ist groß, daß diese Wunden sich mit der Zeit vertiefen und erweitern werden. Die „freaks“ lassen Veränderungen auch in weiterer Folge zu. provozieren sie geradezu. Freaks verwenden eben kein clerasil um „schön“ zu werden, um die Illusion der glatten Oberfläche zu bewahren, sie haben diese Risse, sie haben diese Narben.
Ein drittes ins Auge stechendes Merkmal bestimmt und verstärkt zusätzlich den Eindruck, den wir von den „freaks“ gewinnen, es sind die Geflechte aus Leder und die Metallteile. Diese scheinen auf den ersten Blick rein funktional, und doch bemerkt man schnell, daß mehr dahintersteckt. Zu vielfältig sind die Flechtmuster, und auch nicht immer so plaziert, daß sie notwendiger weise zur Statik der Plastik beitragen würden.
Vielleicht sind diese verknüpften Lederschnüre als Schmuck zu lesen, oder auch als Frisuren. – all dies verstärkt die Assoziation zu Köpfen, und Schädelformen. Eberhard Jordan provoziert so den Wiedererkennungseffekt und mindert dadurch die Abstraktion. Das Material Leder ist hier sehr streng geformt eingesetzt, geknüpft windet es sich um die prallen Formen der Objekte und unterstreicht das Signal der „Sexualität“. „Erotik“ und einen bestimmten, damit verbundenen Fetischismus.
Eberhard Jordans „freaks“ sind vielleicht eine Art Selbstportrait des Künstlers, weil aber bei der Rezeption von Kunst die Selbstreflexivität eine wesentliche Rolle spielt, finden wir im besten Fall uns selbst in diesen „freaks“ wieder und sollten uns vielleicht aufs Neue in Erinnerung rufen wie das Wort „freak“ definiert wird.
andreas lehner.